"Border-Philosophie ...
2004 gab es bei uns Familienzuwachs: Donna von den
Hardsteins-Wiesen, ein waschechtes Border Collie-Mädel. Und das, obwohl ich
kein einziges Schaf mein eigenen nannte und auch niemand kannte, der welche
hat. Eigentlich kannte ich Schafe nur aus der Tiefkühltruhe bei Aldi.
Froh gestimmt suchte ich mir also ein Border Collie-Forum
und entfachte prompt eine recht heftige Grundsatzdiskussion: Dürfen Leute ohne
Schafe überhaupt Border halten? Verkümmert jeder Border zur Schatten-hütenden
Inkarnation der Langeweile? Gibt es eventuell Border, die nicht zwingend hüten
müssen? Das man Border eventuell mit Hundesport wie Agility wenigstens ein
bisschen auslasten kann? Dazu gab es gratis eine Liste mit Hunden, die ich mir
besser gekauft hätte, wobei dann andere Forenmitglieder vehement anderer
Meinung waren und die Anschaffung eines Zwerghamsters möglicherweise passender
gefunden hätten – was dann die Fraktion der Zwerghamsterfreunde auf den Plan
rief ...
Ich kann mir vorstellen, dass die Diskussion in dem Forum
noch immer offen ist, aber ich habe daraus 3 Dinge mitgenommen:
1) eine
allergische Reaktion auf Border-Collie-Foren
2) fand
ich Agility ziemlich suspekt, das war wohl so eine Art Zwangstherapie zur
Rettung durchgeknallter BC, die ansonsten Autos, Schmetterlinge, Schatten und
Sonnenstrahlen hüten
3) begegnete
ich Menschen mit hütenden Border mit einer gewissen Vorsicht, die sich
allerdings schon deshalb als überflüssig herausstellte, weil ich gar keine
kennenlernte.
Donna hatte allerdings einen viel zu starken Charakter, um
sich auf solche Diskussionen einzulassen. Sämtliche Versuche, sie davon
abzubringen, entspannt auf dem Sofa zu liegen, um statt dessen abwechselnde
Spielzeuge zu apportieren, boykottierte sie einfach. Sie brachte immer nur das
Spielzeug was sie gerade bringen wollte, legte sich auf das Sofa und grinste.
Ja, Leute, die Border kennen, wissen, wie sie grinsen können ...
Bei einem teuren border-pädagogischen Spielzeug, wo sie ihre
Intelligenz einsetzen sollte, um Leckerlis rauszuholen, setzen sie ganz
pragmatisch lieber ihre Zähne ein. Und als ich endlich meine Versuche aufgab,
aus Donna einen glücklichen, ausgelasteten Border zu machen, wurde sie genau
das. Ein glücklicher Border, der nichts und niemand hütete, niemand belästigete
und einfach nur ein traumhafter Familienhund ist.
Daran hat sich heute auch nichts geändert. Obwohl wir
mittlerweile Agility für uns entdeckt haben. Agility macht Donna genauso gerne
wie Grashüpfer fangen, Frisbee spielen oder Stöckchen schreddern. Im Gegensatz
zu anderen Bordern, die ich bei Turnieren beobachte, liegt Donna zwischen den
Läufen ganz entspannt in unserem Zelt. Manchmal grinst sie ein bisschen, weil
sie ihr Frauchen so gut auslasten kann ...
Und seit gestern kenne ich nun auch Punkt 3 der „No Go’s“:
Hütende Border Collies.
Und das ist die eigentliche Geschichte.
Meine Forums-Freundin Judith lebt wieder einmal für eine
Woche mit den Schafen eines Bekannten irgendwo in der Pampa und passt auf die
Hörnertiere auf. Da ich zum einen Urlaub habe und zum anderen Judith schon
länger nicht mehr gesehen, packte ich also meine Cam und machte mich auf den
Weg nach Schwetzingen. War wohl ein eher orientierungsloser Tag von mir, weil
erst brauche ich schon 2 Stunden, um den Parkplatz zu finden und dann irrte ich
noch ein Weilchen durch den Wald. Gluthitze, aber ich bin da. Ich sehe Tütenohr
Muck, der angebunden Freundentänze vollführt, einen wild kläffenden
Border-Junghund, den ich nicht kenne und einen statuenhafte Border, der
konzentriert seine Schafe im Blick hat. Etwas zögernd steige ich aus, weiss
nicht, wie der frei laufende Border fremde Menschen bei seinen Schafen wahr
nimmt. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Lill ignoriert mich und
hat nur Blick für ihre Schafe. Dafür stürmt plötzlich Shannon, Judiths Hund,
wild knurrend auf mich zu – meine neue Sonnenbrille entsprach wohl nicht ihrem
Geschmack ...
Aber erst mal keine Zeit für lange Begrüßungen – die Weide
für den heutigen Tag muss abgesteckt werden. Mit einem mitleidigen Blick auf meine
nackten Beine meint Judith, das macht sie besser allein – aber der grobmaschige
Weidezaun muss quer durch den Wald gespannt werden und verheddert sich immer
wieder in Unterholz. Also komme ich doch zum Einsatz und trenne Holz und Zaun,
bis die Abspannung soweit fertig ist. Dann kommt Markus, der „Chef“ und er
bringt Nena mit, die mich sofort begrüsst, als ob wir uns schon Jahrzehnte lang
kennen. Ein wunderbarer, so intensiver Hund, der mit solch einer Begeisterung arbeitet und genauso gerne
schmust, wenn es grad nichrs zu tun gibt. Nachdem ich Muck und Greg, dass ist
ein Sohn von Nena, 6 Monate alt, begrüsst habe, komme ich auch dazu, Markus zu
begrüßen – und dann dürfen die Schafe aus dem Pferch auf die Weide. Diese Weide
liegt allerdings mitten im Wald, was einen Doppelnutzen hat: die Mähs haben
Schatten und gleichzeitig einen landschaftspflegerischen Nutzen, weil sie zum
Beispiel wucherndes Gestrüpp und Brombeeren klein halten. Das machen sie jetzt
schon einige Jahre und der Erfolg überzeugt selbst anfängliche Skeptiker.
Nun, Schafe hüten hab ich mir irgendwie so wie nen Viehtreck
vorgestellt. Aber bei meinem Einsatz als Cowgirl auf der Schwäbischen Alb hatte
ich ja auch schon gelernt, dass Ruhe und Kontakt zu den Tieren mehr bringt als
Hektik. Trotzdem war ich fassungslos, als Markus den Pferch aufmacht, den
Tieren ein „KOOOOOOM“ Kommando gibt und Richtung Wald zum Eingang auf die neue
Weide geht. Und die Schafe folgen ihm. Lill und Nena haben das ganze fest im
Blick und sorgen dafür, dass alle Schafe auf „Kurs“ bleiben. Und ganz
unspektakulär sind die Mähs auf ihrer heutigen Weide angelangt. Während Markus
und Judith die Absperrung fertig stellen mache ich Fotos und merke plötzlich,
dass die ganze Herde aus der Absperrung entkommen ist und irgenwo durch die
Heide rennt. Markus springt über die Absperrung und ruft seine Schafe – Lill
und Nena sorgen dafür, dass diese
„Einladung“ nicht überhört wird. Ich hab Gänsehaut. Border in Action, das ist
einfach nur unbeschreiblich, dass kann man nicht lesen, nicht im Fernsehen
sehen – dass geht nur live. Diese unglaubliche Intensität, die Border ja immer
und bei allem haben, was sie tun – auch wenn sie auf der Couch liegen – diese
Spannung und Konzentration, diese perfekte Kommunikation – welchem Hund sagt
man schon „geh rechts“ und dieser unglaubliche Gehorsam ... eh ich richtig
gucken und fotografieren kann, sind die Mähs wieder im OK Choral.
Puh. Eigentlich wäre ja jetzt die Zeit für Gespräche und
Entspannung. Wir drei Menschen und 5 Hunde sitzen im Schatten einer alten
Buche, die Luft flirrt schon in der Mittagshitze, Eidechsen huschen durchs
Heidekraut und der Sandboden ist bevölkert von Ödlandschrecken mit ihren
irritierend flugähnlichen Bewegungen.
Aber die Schafe sind unruhig. Hier oben sind sie zwar fleissig
am fressen, aber dieses andauernde nervöse Mäh macht die beiden Schäfer
unruhig. Und schon ist es soweit: ein Hörnertier ist über die Absperrung
gesprungen, kommt aber nicht weit. Markus und Judith dirigieren die Hunde, das
Schaf ist umzingelt und springt wieder zurück. Immer wieder gucken die beiden
nach den Schafen, müssen noch zweimal Ausreisser zurücktreiben.
Dazwischen sitzen wir im Schatten und reden. Nena kommt
immer wieder schmusen und der kleine Greg hat es mir verflixt angetan. Dann
telefoniert Markus und muss weg, Ziegen einfangen. Ich verspreche, bei Judith
zu bleiben, obwohl ich ja bestenfalls Unterhaltung und eine moralische
Unterstützung sein kann.
Judith ist schon perfekt auf die Schafe eingestellt, ahnt
förmlich, wenn irgendwo was nicht stimmt. Und prompt ist wieder so ein Mäh auf
Ausflug. Judith läuft gelassen hin, dirigiert Nena ins Platz und Lill in einem
Bogen um das Schaf herum. Die Border nehmen das Schaf in die Zange, aber das
dumme Mäh flieht kopflos, anstatt ins Gehege zurück zu springen. Versucht es
dann doch, verheddert sich, versucht wieder zu fliehen, nimmt dann erneut
Anlauf und bleibt wieder im Zaun hängen.
Bis jetzt hab ich nur Fotos gemacht, aber nun will ich
endlich helfen: „Soll ich den Strom ausschalten?“ – spurte auf Judiths Kommando
los, breche wie ein Elefant durchs Unterholz, aber bevor ich das Weidezaungerät
erreichen kann, ist die Situation entschärft.
Ich weiss gar nicht, wie oft ich gestern um diese Koppel
herum gelaufen bin – aber es hat Spaß gemacht, vielleicht waren es gerade der
blaue Himmel und die Hitze, die dieser Heidelandschaft ihre überirdische
Schönheit verliehen haben. Heide, Sand, hellgrüne Birken, aromatische Kiefern,
alte Eichen und Buchen – dazu die immer inspirierende Gesellschaft von Judith und auch diesen
wunderbaren Hunden. Shannon hat sich ja immer gefragt, was wir an Schafen denn
interessanter finden als an Stöcken und Tannenzapfen – so wie Donna vermutlich
auch –
Ja, ich habe gestern mein Herz und meine Begeisterung für
hütende Border Collies entdeckt.
Aber es ist ein hartes Leben. Nena, ein halbes Jahr älter,
sieht doppelt so als aus wie Shannon oder Donna.
Wobei sich dann bei Hunden die gleiche Frage stellt, wie bei
Menschen: Was ist denn der Sinn des Lebens?
Als Mensch hat man zumindest gewisse Möglichkeiten, seinen
Lebensweg zu beeinflussen.
Wir gehen davon aus, dass ein Hund sich diese Frage nicht
stellt ...
Aber ich glaube, nun ist der Sinn meiner langen Einleitung
klarer geworden ..."
Geschrieben im Juni 2011 - mich wundert gar nicht mehr, dass hier mittlerweile noch ein Border eingezogen ist ... Hope hatte eine Wahl - und hat sich gegen Schafe entschieden ...
Und hier ein paar Fotos von Donna und von Schwetzingen